Die Krise der Demokratie - Eine Frage der Perspektive?

Die vielbesprochene Krise der Demokratie weist unmissverständlich auf die grundsätzliche Frage nach der Legitimität von organisierten Gesellschaften hin. Gesellschaftliche Legitimationsprozesse, so die ausgeführte These hier, sind Begründungs- und Rechtfertigungsprozesse, die bestimmen und gegebene...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sabrina Zucca-Soest
Format: Article
Language:deu
Published: Universität Salzburg 2019-12-01
Series:Zeitschrift für Praktische Philosophie
Subjects:
Online Access:https://www.praktische-philosophie.org/zfpp/article/view/187
Description
Summary:Die vielbesprochene Krise der Demokratie weist unmissverständlich auf die grundsätzliche Frage nach der Legitimität von organisierten Gesellschaften hin. Gesellschaftliche Legitimationsprozesse, so die ausgeführte These hier, sind Begründungs- und Rechtfertigungsprozesse, die bestimmen und gegebenenfalls deutlich werden lassen, dass und inwiefern Institutionen gerechtfertigt bzw. gut begründet sind. Institutionen im Sinne kultureller Deutungs- und Handlungsmuster können zu verhaltensregulierenden und Erwartungssicherheit erzeugenden sozialen Regelsystemen erstarken und so an gesellschaftlicher Tragkraft gewinnen – fehlt es aber an legitimierenden Institutionen, so geraten die gesellschaftlichen Organisationsstrukturen als solche langfristig gesehen in eine Krise. In diesem Sinne entfaltet die je neu aufzubringende Ressource Legitimität eine konstituierende Wirkung für gesellschaftliche Organisations- und Herrschaftsstrukturen – gelungene Legitimationsprozesse führen dabei zu als gerechtfertigt anerkannten Verhältnissen und bilden somit einen – qua Stabilität gewonnenen – Zusammenhang gesellschaftlicher Strukturen. Diese normativ gehaltvollen, durch soziale wie rechtliche Normen gekennzeichneten Strukturen entstehen allerdings durch unterschiedlichste gesellschaftliche Interaktionen und stellen vielfältige Ansprüche an diejenigen, von denen die Befolgung dieser Normen erwartet wird. Normbefolgung ist dabei keineswegs selbstverständlich. Sieht man von der nicht nur inakzeptablen, sondern auf Dauer auch nicht funktionsfähigen Möglichkeit der Normbefolgung aufgrund bloßen Zwangs ab, müssen daher gute Gründe für die Normbefolgung sprechen. Die aktuelle Krise der liberal-pluralistischen Demokratien scheint es in Zeiten der globalisierten Gesellschaften an eben diesen guten Gründen zu mangeln. Das Reservoir an vormals nationalstaatlichen Begründungsstrategien scheint ausgeschöpft zu sein, die Überzeugungskraft der Grundideen liberal-pluralistischer Demokratien zusehends ihre Bedeutung zu verlieren. Zum einen wird in diesem Beitrag eben diesen Gründen für die aktuellen Demokratiekrisen im Sinne von allgemeinen Legitimitätskrisen nachgespürt. Zum anderen wird Legitimität als gesellschaftliche Grundkategorie als solche in den Blick genommen. Denn Legitimität kann entweder im Sinne des faktischen Vorliegens einer zustimmenden subjektiven Einstellung gegenüber Normen und kollektiv verbindlichen Entscheidungen auf Seiten der an einer politischen oder sozialen Ordnung Beteiligten verstanden werden – oder aber als Fähigkeit eines Regelsystems, eben diese Zustimmung allererst hervorbringen zu können. So sind zwei Grundprinzipien erkennbar, denen sich die unterschiedlichen Legitimitätskonzepte zuordnen lassen: die faktische Legitimitätserzeugung (deskriptiver Zugang) und die hypothetische Legitimitätserzeugung (präskriptiver Zugang). Erst mit der Wahrnehmung und Ausarbeitung dieses abstrakt-theoretischen Hintergrunds, vor dem sich Legitimationsprozesse klassifikatorisch unterscheiden lassen und so schließlich auch beschreibend erfasst werden können, kann die Frage nach dem jeweiligen Warum der Krisen sowie ein Ausblick auf die notwendigen strukturellen Veränderungen in der den sachlichen Fragestellungen angemessen Schärfe und Reichweite beantwortet werden.
ISSN:2409-9961