Zeitpolitik
In der Soziologie der Zeit sind in den vergangenen Jahren Prozesse gesellschaftlicher und politischer Beschleunigung diskutiert worden, die demokratische Politik vor große Herausforderungen stellen. Diese Herausforderungen und Antwortstrategien, die der politischen Philosophie zur Verfügung stehen,...
Main Authors: | , |
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Format: | Article |
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Published: |
Universität Salzburg
2018-12-01
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Series: | Zeitschrift für Praktische Philosophie |
Subjects: | |
Online Access: | https://www.praktische-philosophie.org/zfpp/article/view/161 |
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author | Johannes Müller-Salo Manon Westphal |
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In der Soziologie der Zeit sind in den vergangenen Jahren Prozesse gesellschaftlicher und politischer Beschleunigung diskutiert worden, die demokratische Politik vor große Herausforderungen stellen. Diese Herausforderungen und Antwortstrategien, die der politischen Philosophie zur Verfügung stehen, werden im vorliegenden Aufsatz diskutiert. Dabei wird von der Beschleunigungsdiagnose Hartmut Rosas ausgegangen. Rosa zufolge ist die Moderne durch die funktionale Diff- erenzierung der Gesellschaft geprägt, durch die Entstehung gesellschaftlicher Teilsysteme,die ihrer jeweils eigenen Funktionslogik folgen. Charakteristisch für diese Teilsysteme sei die Entwicklung eigener Zeitrhythmen, die sich in unterschiedlichem Maße beschleunigen lassen. Dieses führe zu unterschiedlichen Entscheidungsgeschwindigkeiten– mit fatalen Folgen für die politische Steuerungsfähigkeit der Gesellschaft: Da demokratische Politik nur in Grenzen beschleunigt werden kann, werde die Politik von anderen Teilsystemen abgehängt, in denen – wie etwa in der Wirtschaft, der Finanzwelt und der Wissenschaft – deutlich schneller entschieden wird. Die Politik könne auf diese Systeme keinen maßgeblichen Einfluss mehr nehmen, bestenfalls auf dort getroff- ene Entscheidungen reagieren, aber nicht mehr effektiv gestalten.
Zentrale Theorieansätze in der gegenwärtigen politischen Philosophie – etwa Theorien deliberativer Demokratie – entwickeln Vorschläge zur Verbesserung demokratischer Prozesse, die mit einer Intensivierung des Zeitaufwandes für politisches Handeln einhergehen und so lange als unrealistisch erscheinen müssen, wie auf die Beschleunigungsdiagnose keine überzeugende Antwort gefunden ist. Eine Theorie effektiver Zeitpolitik vermag eine solche Antwort zu geben. Dieser Artikel entwickelt die Konturen einer solchen Theorie in zwei Schritten. Zunächst wird herausgearbeitet, inwiefern Rosas Diagnose auf einer spezifischen, starken Interpretation der These funktionaler Differenzierung beruht, die zu problematisieren und durch ein alternatives Verständnis funktionaler Differenzierung zu ersetzen ist. Auf dieser Grundlage werden zwei Instrumente politischer Entscheidungsfindung – Befristung und Kompromiss – sowie ein politisches Handlungsfeld – die globale Politik – benannt, die das Programm einer effektiven Zeitpolitik veranschaulichen können.
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first_indexed | 2024-03-13T06:51:01Z |
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spelling | doaj.art-ded93344667f4d8ca00e7dcbd8f3d5e42023-06-07T16:10:21ZdeuUniversität SalzburgZeitschrift für Praktische Philosophie2409-99612018-12-015210.22613/zfpp/5.2.1ZeitpolitikJohannes Müller-Salo0Manon Westphal1MünsterMünster In der Soziologie der Zeit sind in den vergangenen Jahren Prozesse gesellschaftlicher und politischer Beschleunigung diskutiert worden, die demokratische Politik vor große Herausforderungen stellen. Diese Herausforderungen und Antwortstrategien, die der politischen Philosophie zur Verfügung stehen, werden im vorliegenden Aufsatz diskutiert. Dabei wird von der Beschleunigungsdiagnose Hartmut Rosas ausgegangen. Rosa zufolge ist die Moderne durch die funktionale Diff- erenzierung der Gesellschaft geprägt, durch die Entstehung gesellschaftlicher Teilsysteme,die ihrer jeweils eigenen Funktionslogik folgen. Charakteristisch für diese Teilsysteme sei die Entwicklung eigener Zeitrhythmen, die sich in unterschiedlichem Maße beschleunigen lassen. Dieses führe zu unterschiedlichen Entscheidungsgeschwindigkeiten– mit fatalen Folgen für die politische Steuerungsfähigkeit der Gesellschaft: Da demokratische Politik nur in Grenzen beschleunigt werden kann, werde die Politik von anderen Teilsystemen abgehängt, in denen – wie etwa in der Wirtschaft, der Finanzwelt und der Wissenschaft – deutlich schneller entschieden wird. Die Politik könne auf diese Systeme keinen maßgeblichen Einfluss mehr nehmen, bestenfalls auf dort getroff- ene Entscheidungen reagieren, aber nicht mehr effektiv gestalten. Zentrale Theorieansätze in der gegenwärtigen politischen Philosophie – etwa Theorien deliberativer Demokratie – entwickeln Vorschläge zur Verbesserung demokratischer Prozesse, die mit einer Intensivierung des Zeitaufwandes für politisches Handeln einhergehen und so lange als unrealistisch erscheinen müssen, wie auf die Beschleunigungsdiagnose keine überzeugende Antwort gefunden ist. Eine Theorie effektiver Zeitpolitik vermag eine solche Antwort zu geben. Dieser Artikel entwickelt die Konturen einer solchen Theorie in zwei Schritten. Zunächst wird herausgearbeitet, inwiefern Rosas Diagnose auf einer spezifischen, starken Interpretation der These funktionaler Differenzierung beruht, die zu problematisieren und durch ein alternatives Verständnis funktionaler Differenzierung zu ersetzen ist. Auf dieser Grundlage werden zwei Instrumente politischer Entscheidungsfindung – Befristung und Kompromiss – sowie ein politisches Handlungsfeld – die globale Politik – benannt, die das Programm einer effektiven Zeitpolitik veranschaulichen können. https://www.praktische-philosophie.org/zfpp/article/view/161BefristungBeschleunigungdeliberative Demokratiefunktionale DifferenzierungKompromiss |
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